Verfassungstag 2025 steht im Zeichen der Grund- und Menschenrechte
Es braucht, ähnlich zum Konzept der wehrhaften Demokratie, ein „wehrhaftes Völkerrecht“ als effektive Antwort auf jene, die das Völkerrecht aushöhlen und unterminieren. Dies verdeutlichte Angelika Nußberger, Vizepräsidentin des Verfassungsgerichts von Bosnien-Herzegowina und ehemalige Richterin und Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), heute in einer Rede am Verfassungsgerichtshof in Wien.
Mit einem Festakt zum Verfassungstag – dem 1. Oktober – erinnert der VfGH alljährlich an den Beschluss des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Konstituierenden Nationalversammlung am 1. Oktober 1920. VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter konnte dazu auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Vizekanzler Andreas Babler, die Minister Gerhard Karner und Anna Sporrer, Staatssekretär Alexander Pröll sowie zahlreiche weitere Ehrengäste begrüßen.
In seiner Begrüßung erinnerte Grabenwarter an das Jahr 1945, in dem die Verfassung wieder in Kraft gesetzt wurde, und auch an 1955, als mit dem Staatsvertrag und den Garantien der EMRK wichtige Menschenrechte dazugekommen seien. Grabenwarter unterstrich, dass die europäischen Grundrechte nicht nur von den Gerichtshöfen in Straßburg und Luxemburg ausgelegt werden: „Auch die Verfassungsgerichte setzen Akzente, manchmal abweichend und häufig auf einem höheren Schutzniveau.“ Als Beispiele nannte er u.a. VfGH-Entscheidungen betreffend das Doppelbestrafungsverbot, das Wahlrecht oder die Adelsaufhebung.
Gemeinsam mit den anderen Gerichten sorge der Verfassungsgerichtshof für ein hohes, den europäischen Standards entsprechendes Rechtsschutzniveau, insbesondere im Asylrecht. Der VfGH schreite, so Grabenwarter, ein, wenn er die Effektivität gefährdet sieht.
Van der Bellen: Sorge tragen, dass Bevölkerung Entwicklungen wie in den USA nicht mitträgt
„Ich freue mich, hier zu sein.“ Bundespräsident Alexander Van der Bellen begrüßte das Publikum mit denselben Worten wie US-Talkshow-Host Jimmy Kimmel in seiner ersten Sendung, nachdem seine Show auf Druck der Regierung hin Mitte September vorübergehend vom Sender aus dem Programm genommen worden war. Dies sei nur die Spitze des Eisbergs und habe, so der Bundespräsident, in den USA zurecht große Unsicherheit ausgelöst. Wer das Recht auf freie Meinungsäußerung infrage stelle, bringe damit auch das Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit und die Demokratie ins Wanken: „Daher müssen wir ganz dringend darauf pochen, dass Rechte wie dieses unerschütterlich bleiben.“
„Extreme Politiker, aber auch Stimmen des politischen ´Mainstream´ fordern neue massive Grundrechtseingriffe“, stellte Van der Bellen fest. Obwohl Themen wie Migration oder KI zur Forderung nach schnellen Lösungen führten, müsse jede Idee, wie man mit aktuellen Herausforderungen umgeht, den rechtsstaatlichen Rahmen wahren. „Die Gerichte müssen unabhängig und unparteiisch sein“, betonte der Bundespräsident, und „besonders schützen muss man die Höchstgerichte, die in letzter Instanz entscheiden und auf die Akzeptanz der Menschen angewiesen sind.“ Diese Akzeptanz gebe es nur, wenn jede Ebene der Justiz das Vertrauen in den Rechtsstaat stärke – zum Beispiel, indem Entscheidungen besser erklärt werden. Entwicklungen wie in den USA seien nur möglich, wenn immer mehr Menschen sie mittrügen – „tragen wir alle gemeinsam dafür Sorge, dass das in Österreich nicht passiert.“
Angelika Nußberger: Das Völkerrecht gerät in einer multipolaren Welt unter die Räder
In ihrer Festrede analysierte Angelika Nußberger, dass mit Russlands Angriffskrieg die Grundkoordinaten des internationalen Rechtssystems geändert worden seien: Der Februar 2022 sei, genauso wie der Hamas-Angriff auf israelische Zivilisten, der nachfolgende Gazakrieg und auch die zweite Amtszeit von US-Präsident Trump, ein Wendepunkt hin zu einer neuen multipolaren Rechtsordnung, in der – und hier zitierte Nußberger Wladimir Putin – Interessen „nicht nur bekundet, sondern auch geschützt“ werden. Dabei gerate das Völkerrecht unter die Räder, indem es z.B. selektiv angewendet oder überhaupt ignoriert wird.
Widersprochen wird, so die Richterin, aber auch dem bisher weitgehend als gesichert geltenden rechtlichen Acquis, der durch die – in diesen selbst vorgesehene – Fortentwicklung von Verträgen entstanden sei. Als ein Beispiel nannte Angelika Nußberger die Rechtsprechung regionaler Menschenrechtsgerichte wie des EGMR: „Im Menschenrechtsschutz ist man sich nicht mehr einig, wie weit die von Präambeln angemahnte ´Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten` gelten soll.“
Dieser „überaus negativen“ Bestandsaufnahme stellte sie unter anderem entgegen, dass die internationale Gemeinschaft den Völkerrechtsbruch Russlands etwa mit Sanktionen beantwortet habe. Es sei also nicht alles schlecht. Um den Negativentwicklungen entgegenzutreten, hofft Nußberger auf einen Konsens darüber, dass ein wehrhaftes, ein „militant international law“ eine effektive Antwort gegen jene findet, die das System von innen aushöhlen.
Zu einem solchen gehörten Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, „auch wenn wir in einer multipolaren Welt Abstriche werden machen müssen und nicht alles, was wir für Europa als gemeinsame Klammer ansehen, auch auf universeller Ebene einfordern können“. International unverzichtbar sei, was Franklin Roosevelt und Winston Churchill 1941, in einer sehr dunklen Stunde Europas, in der Atlantikcharta zusammengefasst haben und was in der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausdifferenziert wurde: territoriale Änderungen nur im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Förderung des sozialen Friedens, ein Leben für alle frei von Not und Furcht, Abrüstung, so Angelika Nußberger. Ihr Fazit: „Wenn wir von diesem Grundkonsens aus weiterdenken, sollte es auch möglich sein, in einer multipolaren, von unterschiedlichen geopolitischen Interessen bestimmten Welt friedlich zu leben.“