Zehn Prozent: So hoch muss laut Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 2001 (VfSlg 16404) der Anteil der slowenischsprachigen Bevölkerung in einer Kärntner Ortschaft sein, damit dort eine zweisprachige Ortstafel aufgestellt werden muss. Zuvor hatte das Ortsgruppengesetz diese Grenze bei 25 Prozent gezogen. Die Entscheidung brachte den VfGH in einer bis dahin nicht gekannten Form ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Vor allem aus der Kärntner Landespolitik kamen heftige Angriffe gegen den Gerichtshof und seinen Präsidenten Ludwig Adamovich. Die politische Einigung zehn Jahre und etliche weitere Entscheidungen des VfGH später sah eine Grenze von 17,5 Prozent vor.
Unmittelbar nach dem Erkenntnis freilich war diese Einigung weit entfernt. Vor allem der damalige Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (FPÖ) reagierte – unterstützt von der freiheitlichen Bundespartei – mit heftigen Attacken. Haider warf dem VfGH-Präsidenten Ludwig Adamovich „unwürdiges Verhalten“ vor und forderte dessen Rücktritt. Der Vorwurf: Adamovich habe im Vorfeld des umstrittenen Erkenntnisses mit dem slowenischen Staatspräsidenten über die Ortstafeln gesprochen. Adamovich lehnte einen Rücktritt ab, regte aber selbst an, die Vorwürfe in einem gegen ihn gerichteten Amtsenthebungsverfahren zu klären. Am 6. Jänner 2002 beschloss der VfGH (ohne Adamovich), kein derartiges Verfahren einzuleiten (VfSlg 16408).
Für den Gerichtshof war das Thema Ortstafeln damit aber nicht erledigt. Politische Lösungsversuche („Kärntner Konsenskonferenz“) in den darauffolgenden Jahren scheiterten. Der VfGH schrieb unterdessen weitere zweisprachige Ortstafeln vor (zB Bleiburg/Pliberk, Ebersdorf/Drveša vas, VfSlg 18044, 18318). Haider versuchte diese Entscheidungen zu umgehen, indem er Ortstafeln verrücken ließ und statt den zweisprachigen Aufschriften kleinere Zusatztafeln anbringen ließ. Der VfGH ließ diese Varianten nicht gelten (zB VfSlg 17895, 19116).
Die letzte Entscheidung der langen Serie fiel am 25. Februar 2011 (VfSlg 19313). Wenige Wochen später kam es schließlich auch zu einer politischen Einigung zwischen Bund (Staatssekretär Josef Ostermayer, SPÖ), Land Kärnten (Landeshauptmann Gerhard Dörfler, BZÖ) und Vertretern der Slowenen. Am 6. Juli 2011 beschloss der Nationalrat die Ortstafellösung als Novelle zum Volksgruppengesetz (BGBl. I 46/2011). Die Regelungen für zweisprachige Ortstafeln sowie die Liste der betroffenen Ortschaften stehen seither im Verfassungsrang. Das Ergebnis sind 164 zweisprachige Tafeln, die sich aus den Erkenntnissen des VfGH und einer nunmehr bei 17,5 Prozent liegenden Grenze für den Anteil der slowenischsprachigen Bevölkerung ergeben. Entsprechende Listen wurden auch für die Orte mit kroatischen bzw. ungarischen Minderheiten im Burgenland verankert.
Die Frage der slowenischsprachigen Minderheit in Kärnten ist historisch schwer belastet. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs besetzten Truppen des neu entstandenen Jugoslawien (eigentlich „SHS-Staat“) Teile Kärntens. Erst die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 brachte die Entscheidung für den Verbleib der umstrittenen Gebiete bei Österreich. Später wurde der Schutz der Minderheiten Gegenstand des österreichischen Staatsvertrags von 1955. Art 7 sieht vor, dass in gemischtsprachigen Gebieten Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark die Sprache der slowenischen sowie kroatischen Minderheit neben Deutsch als Amtssprache gilt. Außerdem sollen „Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur“ zweisprachig verfasst werden.
In Umsetzung dieser Bestimmung beschloss die SPÖ-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky im Jahr 1972 die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in 205 Kärntner Ortschaften mit zumindest 20 Prozent Anteil slowenischsprachiger Bevölkerung. Die Lage eskalierte: Gegner rissen die neuen Tafeln im sogenannten „Ortstafelsturm“ gleich wieder nieder, die Aktion wurde gestoppt. Das Volksgruppengesetz 1976 zog die Grenze für zweisprachige Ortstafeln schließlich bei 25 Prozent. Die Topographieverordnung 1977 sah 91 zweisprachige Ortstafeln vor, die aber nie vollständig aufgestellt werden.
20 Jahre später brachte ein Rechtsanwalt die Ortstafelfrage vor den VfGH. Er bekämpfte eine Strafverfügung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Sein Argument: Das Ortsgebiet von St. Kanzian sei mangels zweisprachiger Ortstafeln nicht ordnungsgemäß kundgemacht. Der VfGH nahm diese Beschwerde zum Anlass für ein amtswegiges Prüfungsverfahren. Am 13. Dezember 2001 schließlich erging das Erkenntnis G 231/01 (VfSlg 16404).