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100 Jahre deutschösterreichischer Verfassungsgerichtshof

29.01.2019

Spezialisierte Verfassungsgerichtsbarkeit weltweiter österreichischer „Exportartikel“.

Vor 100 Jahren, am 25. Jänner 1919, wurde der deutschösterreichische Verfassungsgerichtshof geschaffen. Ihm wurden zuerst die Aufgaben des ehemaligen Reichsgerichts, bald darauf die des ehemaligen Staatsgerichtshofes und auch eine erste sehr eingeschränkte Gesetzesprüfungskompetenz (betr. Landesgesetze) übertragen. Er bestand aus einem Präsidenten, seinem Stellvertreter und zunächst acht Mitgliedern und vier Ersatzmännern. Ihre Zahl wurde im selben Jahr auf zwölf Mitglieder und sechs Ersatzmänner erhöht. Alle wurden zunächst vom Staatsrat, dann vom Präsidenten der Nationalversammlung auf Vorschlag der Staatsregierung ernannt.  

25. Jänner 1919: Errichtung des deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes 

Spezialisierte Verfassungsgerichtsbarkeit mit der Befugnis zur Gesetzesprüfung ist zu einem österreichischen „Exportartikel“ weit über den europäischen Kontinent hinaus geworden. Die Entstehung dieses österreichischen, auf Hans Kelsen zurückgehenden Modells der Verfassungsgerichtsbarkeit vollzog sich schrittweise nach dem Ende des 1. Weltkrieges und dem damit verbundenen Untergang der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie. Am 25. Jänner 1919 verabschiedete die Provisorische Nationalversammlung das Gesetz über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes. Dieses wurde am 30. Jänner 1919 kundgemacht und fußte auf einem im Auftrag des Staatskanzlers Karl Renner erstellten Entwurf Hans Kelsens. Mit diesem Gesetz wurde das „Reichsgericht“ der Monarchie in einen Verfassungsgerichtshof der Republik umgewandelt. Bereits im „alten“ Österreich war das Reichsgericht auch als „Verfassungsgericht“ bezeichnet worden. Organisation und Wirkungskreis blieben zunächst gleich. Die bisherigen Mitglieder des Gerichts wurden – soweit die nicht anderen Nationalitäten angehörten – erneut bestellt. Schrittweise ausgedehnt wurden die Kompetenzen dieses neuen Verfassungsgerichtshofes: Neben die Kausalgerichtsbarkeit, die Schlichtung von Kompetenzkonflikten und die Prüfung der Verletzung politischer Rechte – diese Kompetenzen waren vom Reichsgericht übernommen worden – trat die Entscheidung über Ministeranklagen. Diese war in der Monarchie in die Zuständigkeit des 1867 gegründeten, jedoch nie tätig gewordenen Staatsgerichtshofes (24 Mitglieder, auf sechs Jahre gewählt) gefallen. Darüber hinaus wurde diesem Gerichtshof mit 15. März 1919 erstmals in geringem Umfang die Kompetenz zugewiesen, Gesetze zu prüfen, nämlich Gesetzesbeschlüsse einer Landesversammlung auf Antrag der Staatsregierung. 

Verfassungsgerichtshof nach dem Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 

Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 (B-VG). 
Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 (B-VG).

Dem 1919 neu geschaffenen Verfassungsgerichtshof wurden mit dem am 1. Oktober 1920 beschlossenen und am 10. November 1920 in Kraft getretenen Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) weiterhin alle bisherigen Kompetenzen bestätigt. Als entscheidende Neuerungen kamen hinzu: die Zuständigkeit zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit von Verordnungen und der Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen auf Antrag einer Landesregierung (die Prüfung von Landesgesetzen kam schon dem deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshof zu), die Zuständigkeit zur Prüfung von Bundes- und Landesgesetzen im amtswegigen Prüfungsverfahren, die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Wahlen und die Zuständigkeit zur Entscheidung über Verletzungen des Völkerrechtes. Darüber hinaus wurden die Bestimmungen über die staatsrechtliche Verantwortlichkeit oberster Organe erweitert. Damit waren im Wesentlichen jene Zuständigkeiten festgelegt, über die der Verfassungsgerichtshof heute noch verfügt. Der Präsident, der Vizepräsident und die eine Hälfte der Mitglieder und der Ersatzmitglieder wurden vom Nationalrat, die andere Hälfte vom Bundesrat auf Lebenszeit gewählt. Die Mitglieder mussten keine Juristen sein.  

Hans Kelsen: „Architekt“ der Verfassung und des VfGH 

Am 13. Juli 1921 beschloss der Nationalrat das Gesetz über die Organisation sowie das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes. Zwei Tage später wählte er seine Mitglieder, darunter unter anderem den Universitätsprofessor Hans Kelsen, der auch bereits ab Mai 1919 dem deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshof angehört hatte. Kelsen gilt bis heute als „Architekt“ der österreichischen Verfassung sowie des Verfassungsgerichtshofes.  

Originalunterlagen zur Gründung des deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes sind für Gruppen nach Voranmeldung kostenfrei im Foyer des VfGH im 1. Stock, Freyung 8, 1010 Wien, im Rahmen einer Dauerausstellung zu sehen.

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