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Rechtsberatung für Asylwerber durch Betreuungsagentur ist nicht hinreichend unabhängig

22.12.2023

Die Rechtsform der GmbH ist jedoch verfassungskonform

Die Unabhängigkeit der Rechtsberatung für Asylwerber und Fremde durch die Bundesbetreuungsagentur ist bloß vertraglich, nicht aber hinreichend gesetzlich abgesichert, weshalb das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletzt wird. Dies hat der VfGH in einem Gesetzesprüfungsverfahren entschieden. Die entsprechenden Bestimmungen im BBU-Errichtungsgesetz (BBU-G) und im BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) werden als verfassungswidrig aufgehoben. Der Gesetzgeber hat bis 1. Juli 2025 Zeit, eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Diese Entscheidung wurde heute den Verfahrensparteien zugestellt.

Der VfGH hatte aus Anlass mehrerer Beschwerden von Asylwerbern gegen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) Bedenken, ob die Bestimmungen über die Durchführung der Rechtsberatung und ‑vertretung durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 47 der EU-Grundrechte-Charta (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) und des Art. 20 B-VG (Verwaltung von grundsätzlich weisungsgebundenen Organen) entsprechen.

Nach § 52 BFA-VG ist Asylwerbern für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen kostenlos ein Rechtsberater zur Seite zu stellen. Aufgabe des Rechtsberaters ist es, den jeweiligen Asylwerber bei der Einbringung einer Beschwerde an das BVwG zu unterstützen. Auf dessen Ersuchen hat der Rechtsberater den Asylwerber auch im Verfahren vor dem BVwG einschließlich einer mündlichen Verhandlung zu vertreten. Nach § 13 Abs 1 BBU-G sind Rechtsberater bei der Durchführung der Rechtsberatung (§ 2 Abs. 1 Z 2 BBU-G) unabhängig und haben diese weisungsfrei wahrzunehmen. Bis zur Errichtung der BBU oblag die Auswahl der Rechtsberater vor dem BVwG dem Bundeskanzler; mit der Durchführung der Rechtsberatung konnten auch Vereine wie z.B. die Diakonie betraut werden.

Voraussetzung für einen effektiven Rechtsschutz ist es, dass die Rechtsberater der BBU weisungsfrei und unabhängig insbesondere gegenüber dem für die Vollziehung des Fremdenrechts zuständigen Innenminister sind. Zwar ist die Unabhängigkeit der Rechtsberater gesetzlich festgeschrieben. Die Stellung der Rechtsberater in der BBU und gegenüber dem Innenminister, der in der BBU gesellschaftsrechtlich als Eigentümervertreter fungiert, ist jedoch in einem Vertrag näher ausgestaltet. Durch den Abschluss dieses Rahmenvertrags ist die Geschäftsführung der BBU in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht jedoch an Weisungen des Innenministers (gemeinsam mit der Justizministerin) gebunden. Die vertragliche Regelung reicht daher nicht aus, um die Unabhängigkeit der Rechtsberatung effektiv umzusetzen.

Die privatrechtsförmige Gestaltung der BBU GmbH ist hingegen verfassungskonform. Die so gestaltete Rechtsberatung und ‑vertretung stellt – anders als z.B. bei der Covid-19-Finanzierungsagentur (COFAG) – keine funktionell staatliche Verwaltungsführung im Sinne des Art. 20 Abs. 1 B‑VG dar. Zwar hat der Gesetzgeber einen staatlich beherrschten Rechtsträger mit der Rechtsberatung und ‑vertretung beauftragt. Diese Tätigkeit ist aber eine Leistung für die betroffenen Asylwerber und Fremden zur Durchsetzung ihrer Rechte in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren, die auch von Privaten erbracht werden kann (und auch erbracht wird). Sie ist nicht in einer Weise geregelt, die eine Zuordnung der BBU oder der einzelnen Rechtsberater zur staatlichen Verwaltung begründen würde. Die Bestimmungen über die Rechtsberatung und ‑vertretung durch die BBU verstoßen daher nicht gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs 2 B-VG.

(G 328/2022)

VfGH prüft Gesetzesbestimmung, die Gewährung von Verfahrenshilfe regelt

In einem weiteren Verfahren prüft der VfGH, ob die Einschränkung des Rechtes auf Verfahrenshilfe im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) gegen rechtsstaatliche Grundsätze eines effektiven Rechtsschutzes verstößt und damit verfassungswidrig ist.

Anlass des Gesetzesprüfungsverfahrens ist die Beschwerde einer afghanischen Staatsbürgerin, die 2004 Asyl erhielt und 2021 die österreichische Staatsbürgerschaft sowie deren Erstreckung auf ihre drei minderjährigen, in Österreich geborenen Kinder beantragte. Ihr Antrag wurde abgewiesen. Daraufhin erhob die Frau beim Verwaltungsgericht Wien Beschwerde und beantragte Verfahrenshilfe für dieses verwaltungsgerichtliche Verfahren. Dieser Antrag wurde mit Verweis auf eine Bestimmung im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz abgewiesen (§ 8a VwGVG): Demnach hängt das Recht auf Verfahrenshilfe davon ab, ob Grundrechte (nach Art. 6 EMRK oder Art. 47 GRC) Gegenstand des Verfahrens sind (was im konkreten Fall nicht zutrifft). § 8a VwGVG schließt also für alle anderen Verfahren die Gewährung von Verfahrenshilfe aus.

Der VfGH ist jedoch vorläufig der Auffassung, dass der auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderte effektive Zugang zu den Verwaltungsgerichten unabhängig davon bestehen dürfte, ob sich der Rechtsschutzsuchende in einer Angelegenheit an das Verwaltungsgericht wendet, die in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK oder des Art. 47 GRC fällt. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Grundrechte könnte es im Einzelfall Verfahren geben, in denen Verfahrenshilfe zu gewähren ist, um einen wirksamen Zugang zum Rechtsschutz sicherzustellen. Dies etwa, wenn ein Verfahren sehr komplex ist oder die persönlichen Umstände eine Unterstützung des Betroffenen erfordern.

Ob die Bedenken begründet sind, wird nun im Gesetzesprüfungsverfahren geklärt; in diesem Verfahren hat die Bundesregierung Gelegenheit, zu den Bedenken des VfGH Stellung zu nehmen.

(E 119/2023)

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