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Alpbacher Rechtsgespräche 2017: „Der Rechtsstaat muss täglich neu errungen und gesichert werden“

27.08.2017

VfGH-Präsident Gerhart Holzinger erinnert an die Akzeptanz durch die Bürger als Voraussetzung für das Funktionieren des Rechtsstaates.

Es sind aktuelle Entwicklungen in einzelnen europäischen Staaten, die Gerhart Holzinger, dem Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Sorge bereiten. Diese Entwicklungen machten „schmerzlich bewusst, dass auch unser demokratischer Rechtsstaat weder irreversibel noch selbstverständlich ist, sondern täglich aufs Neue errungen und damit gesichert werden muss“, betonte Holzinger am Sonntag, 27. August, zur Eröffnung der Rechtsgespräche im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach 2017.

Holzinger befasste sich mit der Frage, welchen Beitrag das Recht zur Herstellung des Friedens bzw. des Rechtsfriedens leisten könne. Die große Rolle des Rechts steht für ihn dabei außer Frage: „Das Recht ist vor allem im Hinblick auf seine gesellschaftliche Ordnungs- und Friedensfunktion eine der bemerkenswertesten Kulturleistungen der Menschheit.“ Seine wesentliche Rolle bestehe darin, Konflikte auf einer sachlichen Ebene und somit gewaltfrei zu lösen und Entscheidungen nötigenfalls auch mit Zwang durchzusetzen.

„Recht“ sei dabei aber nicht gleichbedeutend mit „Gerechtigkeit“, räumte der Präsident ein. Vielmehr sei auf die Frage nach der Gerechtigkeit bis heute keine allgemein gültige Antwort gefunden. Das positive Recht der Rechtsordnung stehe immer auch in einem Spannungsverhältnis zur Forderung nach Gerechtigkeit im Sinne einer idealen Ordnung menschlichen Zusammenlebens. Der moderne demokratische Rechtstaat komme diesem Ideal aller Erfahrung nach aber am nächsten.

Recht und Rechtsstaat seien aber nicht selbstverständlich. „Es wäre eine Illusion zu glauben, dass eine entwickelte Rechtsordnung mit einem effektiven, auf Gerichte gestützten Rechtsschutzsystem für sich alleine schon genügt, um die friedensstiftenden Funktion des Rechts zu gewährleisten“, mahnte Holzinger. Gerade die Geschichte Österreichs in der Ersten Republik mache deutlich, „wie zerbrechlich Rechtsstaat und Demokratie in Zeiten der Krise sein können“.

Die Voraussetzungen für das Funktionieren des demokratischen Rechtsstaats könne dieser aber nicht selber garantieren, zitierte Holzinger den deutschen Staatsrechtslehrer Ernst-Wolfgang Böckenförde. Selbst in einem gefestigten Rechtsstaat stelle sich Rechtsfrieden nicht schon automatisch dann ein, wenn ein Gesetz vom Parlament beschlossen oder ein Urteil von einem Gericht gefällt wurde. Denn: „Entscheidend für die Wirksamkeit des Rechts als Friedensordnung ist letztlich die – freiwillige – Akzeptanz des Rechts durch die Betroffenen.“ Dies bedeute, von staatlichen Organen erlassene Regelungen auch dann zu befolgen, „wenn sie im Einzelfall als dem eigenen Interesse zuwiderlaufend oder sonst als verfehlt, sinnlos oder unzweckmäßig empfunden werden“.

VfGH: Vertraulichkeit stellt Unabhängigkeit sicher

Die Frage der Akzeptanz betreffe auch Gerichte und im Besonderen den Verfassungsgerichtshof, der wegen seiner speziellen Aufgaben als „Grenzorgan zwischen Recht und Politik“ in einem „latenten Spannungsverhältnis zur Regierung sowie zum parlamentarischen Gesetzgeber bzw. den dahinterstehenden, die Parlamentsmehrheit bildenden Parteien“ stehe. Von besonderer Bedeutung für die Akzeptanz des VfGH und seiner Entscheidungen sei die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter, die durch die Bestellung bis zum 70. Lebensjahr sichergestellt sei – auch wenn die Auswahl der Personen durch politische Organe erfolgt.

Maßgeblich für die Unabhängigkeit und die Akzeptanz ist für Holzinger auch die Tatsache, dass der VfGH weder Abstimmungsverhältnisse noch abweichende Meinungen einzelner Mitglieder („dissenting opinion“) veröffentlicht. Dem durch solche Maßnahmen erhofften Gewinn an Transparenz stünden schwer wiegende Nachteile gegenüber. So drohe die Veröffentlichung von Sondervoten zu gesellschafts- und parteipolitisch kontroversiellen Fragen die „innere Freiheit“ der Richter und somit ihre Unabhängigkeit zu gefährden.

Die Autorität des VfGH beruhe zudem auch auf der „seit Jahrzehnten bewährten Praxis der kollegialen Entscheidungsfindung“. Holzinger: „Der Verfassungsgerichtshof ist eben mehr als die Summe seiner Mitglieder!“ Und, so der Präsident mit Blick auf manche Kritik an Entscheidungen des Gerichtshofs aus der Rechtswissenschaft: Verfassungsgerichtsbarkeit heiße Entscheidungen zu treffen. Damit unterscheide sie sich aber fundamental von der Rechtswissenschaft, deren Funktion darin bestehe, wissenschaftliche Meinungen zu bilden und zu äußern“.

Die Voraussetzungen für das Funktionieren des Rechts und der Gerichtsbarkeit müsse jede und jeder einzelne sicherstellen, appellierte Holzinger zum Abschluss. Dies gelte speziell auch für den Umgang mit den Gerichten: „Sachliche Kritik an gerichtlichen Entscheidungen tut dem keinen Abbruch, interessensgeleitete, polemische Gerichts- und Urteilsschelte, von welcher Seite auch immer, aber sehr wohl!“

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