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Juni-Session des VfGH abgeschlossen

04.07.2019

Entscheidungen u.a. zu Nichtraucherschutz, Meinungsfreiheit und Heumarkt-Projekt. Sicherheitspaket wird weiter behandelt.

Die Beratungen des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) im Rahmen der Juni-Session 2019 sind abgeschlossen. Entscheidungen wurden u.a. zum Nichtraucherschutz, zur verfassungsgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit sowie zum Hochhaus-Projekt am Wiener Heumarkt getroffen. Die Beratungen zum Sicherheitspaket werden im September fortgesetzt. Geleitet wurde die Juni-Session von Vizepräsident Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter, dem seit der Zurücklegung des Amtes durch die bisherige Präsidentin Dr. Brigitte Bierlein die interimistische Leitung des Gerichtshofes obliegt.

Nichtraucherschutz: Antrag der Wiener Landesregierung abgewiesen

Der Antrag der Wiener Landesregierung zum Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetz – TNRSG in der seit 1. Mai 2018 geltenden Fassung wurde vom VfGH abgewiesen (siehe bereits Pressemitteilung vom 18. Juni 2019). Der Gerichtshof sah den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Falle der bestehenden Regelung nicht überschritten.
In Bezug auf den Arbeitnehmerschutz hielt der VfGH fest, dass die Rechtsordnung in vielfachem Zusammenhang menschliche Verhaltensweisen akzeptiert, die auf die eine oder andere Weise (auch erhebliche) negative Auswirkungen für andere Menschen oder die Allgemeinheit haben können, weil der Gesetzgeber den Freiheitsgewinn höher bewertet als die nachteiligen Folgen. Im demokratischen Rechtsstaat ist es – so der VfGH – die Aufgabe des Gesetzgebers, hier die Freiheit der einen mit der Schutzbedürftigkeit der anderen und mit den öffentlichen Interessen in Einklang zu bringen. Die angefochtenen Regelungen nehmen diese Abwägung nicht in unverhältnismäßiger Weise vor.
(VfGH G 150/2018, G 151/2018, G 155/2018)

Sicherheitspaket: Hohes Interesse an öffentlicher Verhandlung

Gegen das im April 2018 verabschiedete Sicherheitspaket wurden beim Gerichtshof ein Abgeordnetenantrag („Drittelantrag“) von 21 SPÖ-Bundesräten sowie ein von 61 SPÖ- und NEOS-Abgeordneten zum Nationalrat unterstützter gemeinsamer Drittelantrag eingebracht. Den Antrag der SPÖ-Bundesräte wies der VfGH zurück, weil die als verfassungswidrig kritisierten Bestimmungen nicht richtig bezeichnet waren.

Zum Antrag der Nationalratsabgeordneten führte der VfGH am 25. Juni unter hohem öffentlichem Interesse eine mündliche Verhandlung durch. Über weite Strecken ging es dabei um den sogenannten „Bundestrojaner“, der die Durchsuchung verschlüsselt gesendeter oder empfangener Nachrichten durch eine (ohne Wissen des Inhabers installierte) Überwachungssoftware ermöglicht. Im Fokus waren aber auch weitere 2018 beschlossene Polizeibefugnisse, darunter die Möglichkeit zur Videoüberwachung und die anlasslose automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen. Seitens der Antragsteller wurde davor gewarnt, dass die durch das Gesetz ermöglichte Streubreite einen großen Teil der Bevölkerung zu anlasslos überwachten Personen zu machen drohe. Ein Vertreter der Bundesregierung ließ dies nicht gelten. Der Drittelantrag wird in den nächsten Monaten weiter beraten. Mit einer VfGH-Entscheidung ist voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.
(VfGH G 72/2019, G 73/2019, G 74/2019)

Meinungsfreiheit: „ACAB“-Transparent im Fokus

In einem Fall zur verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit hatte der VfGH zu entscheiden, ob das Hochhalten eines Transparents mit der Aufschrift „ACAB“ („All Cops are Bastards“) während eines Fußballspiels vor zwei Jahren in Wien als „Anstandsverletzung“ nach dem Wiener Landes-Sicherheitsgesetz bestraft werden durfte. Der Beschwerdeführer machte eine Verletzung im Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung geltend: Nach Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Zwar kann diese Freiheit durch Gesetz „Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen“ unterworfen werden, doch dürfen solche Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist.

Der VfGH stellte fest, dass mit dem Schwenken dieses Transparents keine Beschimpfung bestimmter Personen, sondern die ablehnende Haltung mancher Fußballfans gegenüber der Polizei als Teil der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck gebracht werden sollte. In dieser Form geäußerte Kritik ist – so der VfGH – „mit Blick auf die in einer demokratischen Gesellschaft besondere Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit bei Beachtung aller Umstände des Falles hinzunehmen“.
(VfGH E 5004/2018)

Heumarkt-Projekt: Aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt

Beim VfGH ist eine Beschwerde gegen die Feststellung der Umweltverträglichkeitspflicht für das Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt anhängig, in der auch der Antrag gestellt wurde, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Der VfGH wies diesen Antrag ab: Mit dem Vollzug der angefochtenen Entscheidung ist nämlich für die Beschwerdeführende Gesellschaft kein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden; ein solcher Nachteil ergibt sich auch nicht aus den Kosten, die der Gesellschaft bis zur Entscheidung des VfGH entstehen.

Eine Entscheidung über die Beschwerde selbst ist in der zweiten Jahreshälfte zu erwarten.
(VfGH E 1643/2019)

Staatsbürgerschaft und Altersdiskriminierung

Auf der Tagesordnung stand auch ein Fall, in dem es um die Voraussetzungen für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft geht. Eine allgemeine Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist, dass der Lebensunterhalt des Betroffenen durch eigene Mittel hinreichend gesichert ist, es sei denn, dies ist dem Fremden aus Gründen nicht möglich, die er nicht zu vertreten hat. Als solche Gründe gelten von Gesetzes wegen insbesondere eine Behinderung oder eine dauernde schwere Erkrankung.

Vor dem VfGH war nun strittig, ob von der Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit auch dann abzusehen ist, wenn die Erwerbsunfähigkeit des Fremden auf dessen Alter zurückzuführen ist. Die 70-jährige Beschwerdeführerin, die Mindestsicherung bezieht, berief sich in diesem Zusammenhang auf das Verbot der Altersdiskriminierung.

Der VfGH entschied, dass das Gesetz in Fällen, in denen eine Erwerbstätigkeit des Fremden altersbedingt nicht mehr erwartet werden kann, darauf abstellt, dass der Fremde im erwerbsfähigen Alter vorgesorgt hat, wobei auch zu berücksichtigen ist, ob dem Fremden eine solche Vorsorge wegen Behinderung oder Krankheit nicht möglich war. Von Benachteiligung auf Grund des Alters kann daher nicht gesprochen werden.
(VfGH E 89/2019)

Pensionsanpassung 2018

Für das Jahr 2018 wurde eine degressive Pensionsanpassung für ASVG-Pensionisten beschlossen. Niedrige Pensionen (bis € 1500,– monatlich) wurden um 2,2% erhöht, etwas höhere um einen Fixbetrag bzw. um 1,6%, bei hohen Pensionen (ab € 4980,– monatlich) entfiel die Erhöhung.

Gegen diese Regelung richteten sich mehrere Beschwerden, in denen vor allem eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes geltend gemacht wurde: Die Beschwerdeführer seien bei Antritt ihres Ruhestandes davon ausgegangen, eine Pension zu erhalten, deren innerer Wert (Kaufkraft) zumindest durch Abgeltung der Inflation konstant bleibe; in diesem Vertrauen seien sie durch die angefochtene Anpassungsregelung enttäuscht worden.
Der VfGH hielt demgegenüber fest, dass dem Gesetzgeber bei der Regelung des Pensionsrechts ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt. Diesen Spielraum habe der Gesetzgeber durch die gewählte Technik der Pensions-anpassung nicht überschritten.
(VfGH E 106/2019)

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