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Der Bundeskanzler muss dem Ibiza-U-Ausschuss einen Teil der verlangten Unterlagen vorlegen

12.05.2021

Zwei Anträge bezüglich Unterlagen des BKA erfolgreich  Antrag auf Handy-Nachrichten des Bundeskanzlers zurückgewiesen

Der Verfassungsgerichtshof hat am 10. Mai über drei weitere Meinungsverschiedenheiten zwischen Abgeordneten der SPÖ, der FPÖ und von NEOS im Ibiza-Untersuchungsausschuss einerseits und einem informationspflichtigen Mitglied der Bundesregierung entschieden. Sie betreffen die Vorlage von Akten und Unterlagen (so die allgemeine Definition in der Verfassung) des Bundeskanzlers an den Ibiza-Untersuchungsausschuss. Anders als bei der Entscheidung in der Vorwoche betreffend den Bundesminister für Finanzen ging es nicht um die Exekution einer Entscheidung des VfGH, sondern um die Klärung  der Reichweite der Pflicht, dem U-Ausschuss Akten und Unterlagen vorzulegen. 

Vorzulegen sind dem U-Ausschuss

  • jene Unterlagen im Hinblick auf die Tätigkeit der Stabsstelle Think Austria, die nicht bereits vorgelegt worden sind, sowie
  • die vollständigen E-Mail-Postfächer des Bundeskanzlers, der übrigen Regierungsmitglieder im Bundeskanzleramt sowie näher bezeichneter Bediensteter des Bundeskanzleramtes aus dem Untersuchungszeitraum (18. Dezember 2017 bis 10. Dezember 2019).

Der Antrag auf Vorlage näher bezeichneter Nachrichten auf dem Mobiltelefon des Bundeskanzlers wurde zurückgewiesen.

Fehlende Begründung der Nichtvorlage von Think Austria-Dokumenten

Da er seiner Begründungspflicht gegenüber dem U-Ausschuss nicht nachgekommen ist, ist der Bundeskanzler verpflichtet, jene Unterlagen im Hinblick auf die Tätigkeit der Stabsstelle Think Austria vorzulegen, die nicht bereits vorgelegt worden sind. 

Ein gemäß Art. 53 Abs. 3 B-VG vorlagepflichtiges Organ – hier der Bundeskanzler – kann die Vorlage von Unterlagen mit der Behauptung verweigern, dass die betreffenden Unterlagen für den Gegenstand der Untersuchung im Ausschuss nicht einmal abstrakt relevant sein können. In diesem Fall ist das Organ jedoch verpflichtet, die Verweigerung zu begründen. Dieser Behauptungs- und Begründungspflicht hat das vorlagepflichtige Organ bereits gegenüber dem U-Ausschuss nachzukommen, und zwar spätestens bis zum Ende der vierzehntägigen (Nach)Frist gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA. Da der Bundeskanzler lediglich seiner diesbezüglichen Behauptungs-, nicht aber auch seiner Begründungspflicht gegenüber dem U-Ausschuss entsprochen hat, ist er verpflichtet, diesem sämtliche von der Minderheit im U-Ausschuss begehrte Unterlagen vorzulegen.

Nach Ablauf der Frist kann die Vorlage für einen beschränkten Zeitraum und auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen nur mit der Behauptung verweigert werden, dass dadurch „die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird“.  

Die Entscheidung des VfGH stellt klar:

„Kommt das vorlagepflichtige Organ nur seiner Behauptungspflicht nach, begründet es aber die Ablehnung der Vorlage der geforderten Akten und Unterlagen gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht oder in ungenügender Weise, gelten die vom antragstellenden Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses geforderten Akten und Unterlagen als vom Untersuchungsgegenstand erfasst, weswegen auszusprechen ist, dass alle in Rede stehenden Akten und Unterlagen dem Untersuchungsausschuss vorzulegen sind. In weiterer Folge kann sich der Bundeskanzler als vorlagepflichtiges Organ gegenüber dem Untersuchungsausschuss daher nicht auf die fehlende abstrakte Relevanz der begehrten Akten und Unterlagen berufen.“

Im vorliegenden Fall hat der Bundeskanzler gegenüber dem Untersuchungsausschuss verspätet und ungenügend Stellung genommen. Der Bundeskanzler ist somit verpflichtet, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss die Akten und Unterlagen der Stabsstelle Think Austria sowie anderer Organisationseinheiten des Bundeskanzleramtes insoweit vorzulegen, als diese dem Ibiza-Untersuchungsausschuss nicht bereits vorgelegt worden sind.
(UA 3/2021)

Auch betreffend E-Mail-Postfächer des Bundeskanzleramts fehlte Begründung

Ebenso wegen fehlender Begründung ist der Bundeskanzler gegenüber dem U-Ausschuss verpflichtet, die vollständigen E-Mail-Postfächer des Bundeskanzlers, der übrigen Regierungsmitglieder im Bundeskanzleramt sowie näher bezeichneter Bediensteter des Bundeskanzleramtes aus dem Untersuchungszeitraum vorzulegen. Ein vorlagepflichtiges Organ hat seiner Behauptungs- und Begründungspflicht bereits gegenüber dem U-Ausschuss nachzukommen, und zwar spätestens bis zum Ende der vierzehntägigen (Nach)Frist gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA. 

Nach Ablauf der Frist kann die Vorlage für einen beschränkten Zeitraum und auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen nur mit der Behauptung verweigert werden, dass dadurch „die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird“.  

Lehnt das vorlagepflichtige Organ die Vorlage von Unterlagen ab, so müssen die Mitglieder des Untersuchungsausschusses nachvollziehen können, welche Unterlagen aus welchen Gründen nicht vorgelegt werden. Der Bundeskanzler hat dem U-Ausschuss zwar Dokumente übermittelt, es aber verabsäumt, hinsichtlich der nicht vorgelegten Unterlagen darzulegen, um welche Art von Unterlagen es sich dabei handelte. Der Bundeskanzler hat erst im Verfahren vor dem VfGH vorgebracht, dass die E-Mails ehemaliger Regierungsmitglieder mit deren Ausscheiden aus der Bundesregierung gelöscht worden seien. Ob und inwieweit der Bundeskanzler aus faktischen Gründen nicht in der Lage sein sollte, seiner Vorlagepflicht nachzukommen, ändert aber nichts an der grundsätzlichen Verpflichtung, die angeforderten Akten und Unterlagen vorzulegen. 

Die Entscheidung des VfGH stellt klar:

„Kommt das vorlagepflichtige Organ nur seiner Behauptungspflicht nach, begründet es aber die Ablehnung der Vorlage der geforderten Akten und Unterlagen gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht oder in ungenügender Weise, gelten die vom antragstellenden Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses geforderten Akten und Unterlagen als vom Untersuchungsgegenstand erfasst, weswegen auszusprechen ist, dass alle in Rede stehenden Akten und Unterlagen dem Untersuchungsausschuss vorzulegen sind. In weiterer Folge kann sich der Bundeskanzler als vorlagepflichtiges Organ gegenüber dem Untersuchungsausschuss daher nicht auf die fehlende abstrakte Relevanz der begehrten Akten und Unterlagen berufen.“

Dem Antrag war schon deshalb stattzugeben, weil der Bundeskanzler bereits seiner Begründungspflicht gegenüber dem U-Ausschuss nicht entsprochen hatte.
(UA 4/2021)

Antrag auf Vorlage von Handy-Nachrichten des Bundeskanzlers mangels Bestimmtheit zurückgewiesen

Als unzulässig zurückgewiesen hat der VfGH den Antrag von Abgeordneten der SPÖ, FPÖ und von NEOS betreffend Nachrichten auf einem Mobiltelefon des Bundeskanzlers, weil die dem Antrag zugrunde liegende Aufforderung der Minderheit im Ibiza-Untersuchungsausschuss an den Bundeskanzler nicht hinreichend bestimmt war. Ist aber der Gegenstand eines Antrags nicht klar erkennbar, ist er vom VfGH als unzulässig zurückzuweisen.

Eine Minderheit im U-Ausschuss hatte beim VfGH die Entscheidung beantragt, dass der Bundeskanzler verpflichtet ist, dem U-Ausschuss unverzüglich die vollständigen SMS, WhatsApp-, IMessage-, Telegram- oder Signal-Nachrichten seines auf die ÖVP-Bundespartei angemeldeten Mobiltelefons vorzulegen, sofern bestimmte Personen an der Kommunikation teilgenommen haben.

Im vorliegenden Fall war es Aufgabe des VfGH, über eine Meinungsverschiedenheit betreffend die Verpflichtung eines Organs zu entscheiden, dem U-Ausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen (Art. 138b Abs. 1 Z 4 B-VG). Aus dem Begriff der Meinungsverschiedenheit folgt, dass es vor dem Antrag an den VfGH zwingend die an das Organ gerichtete (schriftlich begründete) Aufforderung mindestens eines Viertels der U-Ausschussmitglieder geben muss, innerhalb einer (Nach)Frist von zwei Wochen der Vorlagepflicht nachzukommen (§ 27 Abs. 4 der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse – VO-UA). Diese Aufforderung steckt den möglichen Gegenstand eines allfälligen Verfahrens vor dem VfGH ab. Sie muss daher hinreichend bestimmt sein.

Am 4. März 2021 forderten Abgeordnete des U-Ausschusses den Bundeskanzler auf, dem Ausschuss „die vollständigen SMS, Whatsapp, iMessage, Telegram- oder Signal-Nachrichten seines auf die ÖVP Bundespartei angemeldeten Mobiltelefons zu übermitteln“ (gemäß § 25 Abs. 2 VO-UA, ergänzende Beweisanforderung); dies mit einer Vorlagefrist von einer Woche.

Noch vor Ablauf dieser Frist wurde der Bundeskanzler am 10. März 2021 aufgefordert, „binnen zwei Wochen seiner Verpflichtung zur Vorlage folgender Akten und Unterlagen nachzukommen: […] Korrespondenz mittels SMS, WhatsApp, Telegram, Signal, iMessage und dergleichen, von Mitgliedern der Bundesregierung mit deren KabinettsmitarbeiterInnen bzw. von KabinettsmitarbeiterInnen mit Bediensteten des Bundeskanzleramts aus dem Untersuchungszeitraum, unabhängig davon ob diese direkt empfangen, weitergeleitet oder an diese gesendet wurden; […]“. Diese Aufforderung erfolgte gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA.

Schließlich forderten Abgeordnete des U-Ausschusses den Bundeskanzler am 16. März 2021 auf, „binnen zwei Wochen seiner Verpflichtung zur Vorlage des vollständigen SMS, Whatsapp, iMessage, Telegram oder Signal-Nachrichten seines auf die ÖVP Bundespartei angemeldeten Mobiltelefons nachzukommen, sofern diese nicht bereits von der Aufforderung gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA vom 4. März 2021 erfasst sind“. Dies erfolgte (wieder) gemäß § 27 Abs. 4 VO UA. 

Die dem Antrag an den VfGH zugrunde liegende Aufforderung vom 16. März 2021 schränkt die darin enthaltene Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Unterlagen um jene (näher bezeichneten) Nachrichten ein, die „bereits von der Aufforderung gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA vom 4. März 2021 erfasst sind“.

Eine derartige Aufforderung gibt es jedoch nicht. Unterstellt man, dass entweder die zitierte Gesetzesbestimmung oder das Datum korrekt ist, kommt entweder das Verlangen gemäß § 25 Abs. 2 VO-UA vom 4. März 2021 oder die Aufforderung gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA vom 10. März 2021 in Frage. Der Verfassungsgerichtshof kann daher nicht überprüfen, ob sich der Antrag in den Grenzen der Aufforderung vom 16. März 2021 hält. Diese Unbestimmtheit hat zur Folge, dass der Antrag unzulässig ist.
(UA 5/2021)

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