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Van der Bellen: „Die verfassungsrechtlichen Kontrollmechanismen funktionieren“ 

01.10.2021

Festakt zum Verfassungstag mit vielen Ehrengästen – Grabenwarter: „VfGH hat dringende Verfahren zügig durchgeführt“ 

„In einer Demokratie gilt es immer abzuwägen, wie viel wir von einem Grundrecht hergeben, um ein anderes zu achten.“ Dies sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seiner Rede zum Verfassungstag 2021 im VfGH. Van der Bellen illustrierte dies anhand der Abwägung zwischen Freiheit und Gesundheit, die laufend stattfinden müsse. „Warum diese Debatte so heftig geführt wird, darüber müssen wir nachdenken, da in ihr viel gesellschaftliches Spaltpotenzial liegt“, stellte der Bundespräsident fest. Die Corona-Pandemie sei aber nur gemeinsam – also wenn möglichst alle geimpft seien – in den Griff zu bekommen.

Van der Bellen sprach auch die Klimakrise und das Thema Asylentscheidungen an. Mit Verweis auf den VfGH, der jüngst Abschiebungen nach Afghanistan als verfassungswidrig erkannt hatte, sagte er: „Der VfGH muss als Wahrer der Grundrechte hier darauf achten, dass in jedem einzelnen Fall auf die individuelle Fluchtgeschichte eingegangen wird.“ Für den Bundespräsidenten haben die vergangenen Monate gezeigt, dass die in der Verfassung vorgesehenen Kontrollmechanismen funktionieren. Dabei wies er auf die erstmalige Anwendung von Art. 146 Abs. 2 hin, in dem es um die dem Bundespräsidenten obliegende Exekution von Entscheidungen des VfGH geht.

Mit dem Verfassungstag erinnert der VfGH alljährlich an den Beschluss des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Konstituierenden Nationalversammlung am 1. Oktober 1920. Nachdem im Vorjahr bedingt durch die Corona-Pandemie kein Festakt zum 100-Jahr-Jubiläum stattgefunden hatte, konnte VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter nun wieder zahlreiche Ehrengäste begrüßen, darunter den früheren Bundespräsidenten Heinz Fischer und die Ministerinnen Karoline Edtstadler und Alma Zadić.

VfGH hat dringende Verfahren zügig durchgeführt und Stellung zur „Dissenting Opinion“ bezogen

Grabenwarter sprach in seinen Grußworten die Notwendigkeit öffentlicher Wertschätzung für die Arbeit aller Kontrollorgane im demokratischen Rechtsstaat an. Diese Wertschätzung schließe sachliche Kritik an einzelnen Schwächen nicht aus; beides habe in der Debatte seinen Platz.

Zu Jahresbeginn hat sich, so Präsident Grabenwarter, der VfGH an der Diskussion über die Dissenting Opinion (die Möglichkeit und Veröffentlichung von abweichenden Meinungen einzelner VfGH-Mitglieder, Anm.) beteiligt. Die Skepsis gegenüber einer Einführung habe in den Medien breiten Niederschlag gefunden und in der rechtspolitischen Diskussion von vielen Seiten Bestätigung erfahren.  Aber nicht zufällig informiere der VfGH mit der Wanderausstellung „VfGH auf Tour“ und anderen Aktivitäten die Öffentlichkeit über seine Tätigkeit. Zuvor hatte Grabenwarter darauf verwiesen, dass der VfGH dringende Verfahren zügig durchgeführt hat, darunter zahlreiche mit Bezug auf Maßnahmen gegen das Corona-Virus oder jenes zum assistierten Suizid.  

Andreas Voßkuhle sieht vorbildliche Reaktion des VfGH auf Covid-Maßnahmen

Durch mutige Entscheidungen in den vergangenen Jahren sei der Respekt vor dem Verfassungsgerichtshof innerhalb wie außerhalb Österreichs weiter gestärkt worden, so Andreas Voßkuhle, der ehemalige Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, in seiner Festrede. Voßkuhle nannte als Beispiele die Entscheidungen des VfGH etwa zum Bundestrojaner oder zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und bezeichnete die Reaktion des VfGH auf COVID-Maßnahmen „schnell“ und „vorbildlich“.

Er identifizierte insgesamt sieben Felder, durch deren Betrachtung sich der Modellcharakter des österreichischen Verfassungsgerichtshofes erschließe und nannte als erstes die theoretische Fundierung der selbständigen Verfassungsgerichtsbarkeit durch Hans Kelsen. Dieser habe herausgearbeitet, „dass der demokratische Prozess sich nicht auf das Mehrheitsprinzip beschränken lässt, sondern … zwingend den Schutz der oppositionellen Minderheiten und ihrer Rechte einschließt“. Dieser Schutz wiederum lässt sich am besten durch ein „von jeder anderen staatlichen Autorität unabhängiges Organ“ gewährleisten. Wie richtig Kelsen damit gelegen sei, zeigt Andreas Voßkuhle zufolge die Desavouierung der Verfassungsgerichte in Polen, Ungarn und anderen Ländern durch die jeweiligen Regierungen unter Hinweis auf den „Willen des Volkes“.

Schriftstellerin Sabine Gruber: „Ausnützen von Ängsten rüttelt an Grundpfeilern der Demokratie“

Die Schriftstellerin Sabine Gruber sagte in ihrer Festrede, durch Diskussionen über z.B. wirtschaftliche Folgen der Pandemiebekämpfung sei der Schutz des Schwächeren vor dem Stärkeren heftig ins Wanken geraten. Die Aufkündigung der Solidarität mit den Älteren zeugt, so Gruber, von blanker Zukunftsangst. Die, die solche Ängste für souveränistischen Egoismus ausnützen, „rütteln an den Grundpfeilern der Demokratie und versuchen unter formaler Beibehaltung der Verfassung den Geist derselben durch eine autoritäre Realverfassung auszuhöhlen“. Dabei verwies sie auf das Beispiel Polen.

Verfassungsgerichte sind, wie Gruber festhielt, „keine sicheren Institutionen, sie können sich außerdem nur aus sich selbst heraus, kraft ihrer Darlegungen und Begründungen, verteidigen. Umso wichtiger ist es, dass sie sich streng an der Verfassung orientieren, ihre Unabhängigkeit gewährleistet ist. Dass das Rechtssystem transparent ist und den Schutz aller gewährt. Dass sie die Möglichkeit unumschränkter Machtausübung unterbinden und uns davor bewahren, dass einzelne Politiker gesellschaftliche Positionen einnehmen können, in der sie unumschränkt Macht ausbauen und ausüben können.“

Verfassungstag 2021: VfGH-Präsident Grabenwarter mit der Schriftstellerin Sabine Gruber und Prof. Andreas Voßkuhle, dem ehemaligen Präsidenten des dt. BVerfG 
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