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Aufgabenübertragung an die COVID-19-Finanzierungsagentur verstößt gegen die Verfassung

17.10.2023

Auch Richtlinien des Finanzministers zur Auszahlung von Finanzhilfen teilweise gesetzwidrig

Der VfGH hat mehrere Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Errichtung einer Abbaubeteiligungs AG des Bundes (ABBAG-Gesetz) als verfassungswidrig aufgehoben. Neben diesen Bestimmungen zur COVID-19-Finanzierungsagentur (COFAG) hat der VfGH auch Teile der als Verordnungen erlassenen Richtlinien als gesetzwidrig aufgehoben, die die Auszahlung von Finanzhilfen durch die COFAG regeln.

Anlass für die Prüfung des ABBAG-Gesetzes war ein Antrag der Wiener Lokalbahnen Verkehrsdienste GmbH, nachdem die COFAG einen vom Unternehmen beantragten Fixkostenzuschuss nicht gewährt hatte.

  • Im Rahmen dieser Gesetzesprüfung hat der VfGH entschieden, dass die Regelungen betreffend die COFAG im ABBAG-Gesetz teilweise verfassungswidrig sind, da
    • die Art und Weise der Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf eine GmbH (Ausgliederung) unsachlich war (siehe in der Folge Punkt I.1.) und
    • Unternehmen zu Unrecht keinen Rechtsanspruch auf Finanzhilfen haben. 

Die Aufhebung der verfassungswidrigen Bestimmungen tritt mit Ablauf des 31. Oktober 2024 in Kraft. Diese Fristsetzung erachtet der VfGH als notwendig, weil der Bundesgesetzgeber infolge der Aufhebung sowohl für die weitere Tätigkeit der COFAG als auch für die voraussichtlich notwendige Abwicklung dieser Gesellschaft nähere Regelungen erlassen muss. 

Bis zur Erlassung derartiger gesetzlicher Regelungen kann die COFAG weiterhin die ihr durch das ABBAG-Gesetz übertragenen Aufgaben besorgen und daher auch Finanzhilfen auszahlen.

  • In weiteren Verfahren wurden auch Teile der als Verordnungen erlassenen Richtlinien für die Auszahlung von Finanzhilfen durch die COFAG als gesetzwidrig aufgehoben, da
    • die in den Verordnungen erfolgte Freistellung der COFAG von Weisungen gegen das Gesetz verstößt (unten Punkt II.2.) und
    • die Regelungen betreffend finanzstrafrechtliche Sanktionen als Ausschlussgrund für Finanzhilfen durch die COFAG gleichheitswidrig sind (unten Punkt II.3).

Keine Bedenken hat der VfGH gegen den Ausschluss öffentlicher Unternehmen von Finanzhilfen (siehe II.1). 

Erwägungen des VfGH im Detail

I. Zur Aufgabenübertragung an die COVID-19-Finanzierungsagentur und zum Rechtsanspruch auf Finanzhilfen (ABBAG-Gesetz)

Das ABBAG-Gesetz ermöglicht „finanzielle Maßnahmen“ zugunsten von Unternehmen, die pandemiebedingt in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Zu diesem Zweck wurde die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG) gegründet und vom Bund finanziell so ausgestattet, dass sie Finanzhilfen bis zu einem Höchstbetrag von 19 Mrd. Euro gewähren kann. Die COFAG ist bei ihrer Tätigkeit an Richtlinien gebunden, die vom Bundesminister für Finanzen im Einvernehmen mit dem Vizekanzler als Verordnungen erlassen werden. Weitere Vorgaben ergeben sich aus einem (zivilrechtlichen) Geschäftsbesorgungsvertrag, den die COFAG mit dem Bund, vertreten durch den Finanzminister, abgeschlossen hat.

I.1. Voraussetzungen für eine Ausgliederung sind bei der COFAG nur teilweise gegeben:

Auch wenn der Gesetzgeber Aufgaben der staatlichen Privatwirtschaftsverwaltung auf den privaten Rechtsträger COFAG übertragen hat, stellt die Tätigkeit der COFAG (im Sinne des Art. 20 Abs. 1 B-VG) staatliche Verwaltung dar. Die COFAG steht nämlich sowohl in einem spezifischen organisatorischen Naheverhältnis zum Bund (dieser ist mittelbarer Alleingesellschafter der COFAG) als auch (auf Grund der zu besorgenden Aufgaben) in einem spezifischen funktionellen Naheverhältnis zum Bund.

Im Hinblick darauf muss die Ausgliederung in einen privaten Rechtsträger wie die COFAG bestimmte Voraussetzungen erfüllen:

  • Die Aufgabenübertragung muss dem verfassungsrechtlichen Effizienz- und Sachlichkeitsgebot entsprechen.
  • Es darf sich nur um „einzelne Aufgaben“ und keinesfalls um Kernaufgaben des Staates handeln.
  • Ferner muss die Leitungsbefugnis der obersten Organe der Exekutive (hier: des Finanzministers) durch entsprechende Steuerungsmöglichkeiten sichergestellt werden, die im Gesetz verankert sein müssen.

Vor diesem Hintergrund verstößt die Ausgliederung gegen das Sachlichkeitsgebot: 

  • Die COFAG verfügte nicht über die notwendige eigene Sachausstattung, insbesondere nicht die technische Ausstattung, um ihre Aufgaben in einer Art und Weise besorgen zu können, die der Wahrnehmung dieser Aufgaben durch staatliche Organe gleichwertig ist.
  • Die COFAG hat im Ergebnis keine wesentlichen, selbständig zu erledigenden Aufgaben; die Kontrolle der Anspruchsvoraussetzungen war und ist nach dem COVID-19-Förderungsprüfungsgesetz im Wesentlichen den Finanzämtern übertragen. 

Die Leitungs- und Aufsichtsbefugnis des Finanzministers ist jedoch nach dem Gesetz gegeben: 

Als Tochtergesellschaft der Abbaumanagementgesellschaft des Bundes (ABBAG) unterliegt die COFAG zwar nicht direkt der Leitungs- und Aufsichtsbefugnis des Finanzministers. Dieser kann aber im Wege der ABBAG, welche eine im Alleineigentum des Bundes stehende GmbH ist, auf die Geschäftsführung der in der Rechtsform einer GmbH gegründeten COFAG Einfluss nehmen. Diese Möglichkeit entspricht den Anforderungen der Verfassung.

I.2. Fehlen eines Rechtsanspruchs auf Finanzhilfen:

Als sachlich nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig hat der VfGH zudem die Bestimmung aufgehoben, dass auf die Gewährung von COVID-19-Ausgleichsleistungen kein Rechtsanspruch besteht (§ 3b Abs. 2 ABBAG-Gesetz). Dies, weil die Finanzhilfen als Entschädigung für Nachteile anzusehen sind, die Unternehmen durch epidemierechtliche Maßnahmen (z.B. Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote) erlitten haben. In einem solchen Fall muss es aber einen Rechtsanspruch geben.

I.3. Frist für die Gesetzesaufhebung:

Die Aufhebung der verfassungswidrigen Bestimmungen tritt mit Ablauf des 31. Oktober 2024 in Kraft. Diese Fristsetzung erachtet der VfGH als notwendig, weil der Bundesgesetzgeber infolge der Aufhebung sowohl für die weitere Tätigkeit der COFAG als auch für die voraussichtlich notwendige Abwicklung dieser Gesellschaft nähere Regelungen erlassen muss.

Bis zur Erlassung derartiger gesetzlicher Regelungen kann die COFAG weiterhin die ihr durch das ABBAG-Gesetz übertragenen Aufgaben besorgen und daher auch Finanzhilfen auszahlen.

(G 265/2022)

II. Entscheidungen des VfGH betreffend Richtlinien (Verordnungen) zur Auszahlung von COVID-19-Finanzhilfen

Nach dem ABBAG-Gesetz obliegt es dem Bundesminister für Finanzen, im Einvernehmen mit dem Vizekanzler durch Verordnung Richtlinien für die Gewährung von finanziellen Maßnahmen an Unternehmen zu erlassen. In diesen Richtlinien ist auch der Kreis der begünstigten Unternehmen festzulegen. Gegen diese Festlegungen richteten sich mehrere Anträge von Unternehmen, deren Antrag auf Zuerkennung von Finanzhilfen abgelehnt worden ist.

II.1 Keine Bedenken gegen den Ausschluss öffentlicher Unternehmen von Finanzhilfen

Der Bundesminister für Finanzen verfügt über den Regelungsspielraum, zwischen privaten Unternehmen und solchen im alleinigen Eigentum der öffentlichen Hand zu differenzieren sowie letztere ganz von Finanzhilfen auszuschließen. Der Antrag der Wiener Lokalbahnen Verkehrsdienste GmbH, die im alleinigen Eigentum der Stadt Wien steht und deren Antrag das Gesetzesprüfungsverfahren (oben I.1.) ausgelöst hatte, wurde daher ebenso abgewiesen wie die Anträge mehrerer anderer Gesellschaften, die im (unmittelbaren oder mittelbaren) Alleineigentum von Bundesländern oder Gemeinden stehen.

(V 139/2022 u.a. Zlen.)

II.2 Freistellung der COFAG von Weisungen verstößt gegen das Gesetz

Wie der VfGH im Fall G 265/2022 ausgesprochen hat, besorgt die COFAG staatliche Verwaltung. Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet, die COFAG der Leitungs- und Aufsichtsbefugnis eines obersten Organs der Vollziehung (des Bundesministers für Finanzen) zu unterstellen.

Die vom Bundesminister für Finanzen im Einvernehmen mit dem Vizekanzler durch Verordnungen erlassenen Richtlinien sehen hingegen vor, dass die Organe der COFAG innerhalb dieser Richtlinien bei ihrer Entscheidung weisungsfrei sind. Diese Freistellung verstößt gegen das ABBAG-Gesetz.

(V 236/2022 u.a. Zlen.)

II.3 Anknüpfung des Ausschlusses von Finanzhilfen an den Zeitpunkt der Verhängung finanzstrafrechtlicher Sanktionen ist gleichheitswidrig

Es verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz, Unternehmen allein deshalb von COVID-19-Hilfsmaßnahmen auszuschließen, weil über das Unternehmen oder seine geschäftsführenden Organe in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung wegen eines vorsätzlich begangenen Finanzdeliktes rechtskräftig eine 10.000 Euro übersteigende Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße verhängt worden ist.

Zwar liegt es im Regelungsspielraum des Gesetzgebers, Förderungen an steuerliches Wohlverhalten zu knüpfen. Der vorliegende Ausschlussgrund knüpft jedoch an den Zeitpunkt der Verhängung einer finanzstrafrechtlichen Sanktion (Strafe oder Geldbuße) und nicht an den Tatzeitpunkt des Finanzvergehens an.

Unternehmen sind daher auch dann vom Anspruch ausgeschlossen, wenn die Begehung des Finanzdeliktes viele Jahre zurückliegt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verjährung von Finanzdelikten, zu deren Bestrafung die ordentlichen Gerichte zuständig sind, für die Dauer des Strafverfahrens gehemmt ist; damit können auch weit in der Vergangenheit liegende vorsätzlich begangene Finanzdelikte dazu führen, dass kein Anspruch auf Finanzhilfen besteht. Die entsprechenden Regelungen in den Richtlinien zum Fixkostenzuschuss, zum Ausfallsbonus sowie zum Lockdown-Umsatzersatz wurden daher als verfassungswidrig aufgehoben, ebenso die für COVID-19-Förderungen allgemein geltende Regelung im „Bundesgesetz, mit dem Förderungen des Bundes aufgrund der COVID-19 Pandemie an das steuerliche Wohlverhalten geknüpft werden“.

(V 145/2022 u.a. Zlen., G 172/2022 u.a. Zlen.) 

II.4 Frist für die Aufhebung der Richtlinien

Die Aufhebung der gesetzwidrigen Bestimmungen der Richtlinien tritt mit Ablauf des 15. April 2024 in Kraft. Bei Verordnungen beträgt die Höchstfrist für das Außerkrafttreten grundsätzlich sechs Monate. 

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