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Bosnisch-Herzegowinische Delegation im VfGH

16.09.2019

Zu mehreren Arbeitsgesprächen fand sich Mitte September eine Delegation des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina im Verfassungsgerichtshof ein.

Angeführt wurde die Abordnung des Verfassungsgerichts aus Sarajevo von Präsident Zlatko M. Knežević.

Die Delegationen im Verhandlungssaal des VfGH. 
Die Abordnung mit Präsident Zlatko M. Knežević (6. v. l. neben VfGH-Vizepräsident Christoph Grabenwarter) im VfGH.

Seitens des VfGH nahmen Vizepräsident Prof. Christoph Grabenwarter und die Verfassungsrichterinnen und -richter Dr. Claudia Kahr, Prof. Wolfgang Brandstetter sowie Prof. Georg Lienbacher an den Gesprächen teil.

Das erste Fachgespräch zum Thema „Der Einfluss von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die Anwendung europäischer Standards in der nationalen Gesetzgebung“ leiteten Kurzreferate von Präsident Knežević und Verfassungsrichter Lienbacher ein. Knežević stellte das heutige bosnisch-herzegowinische Verfassungsgericht in einen historischen Kontext der Gründung des ersten Verfassungsgerichts des ehemaligen Jugoslawiens 1963. Grundlage für das heutige Verfassungsgericht der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien ist Art. VI der Verfassung von Bosnien und Herzegowina gemäß Annex 4 des Friedensvertrages von Dayton 1995. Art. II dieser Verfassung bestimmt, dass die in der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihren Zusatzprotokollen verankerten Rechte und Freiheiten in Bosnien und Herzegowina unmittelbar anwendbar sind und Vorrang vor dem Gesetz haben. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings dort, wo die Verfassung selbst Anordnungen enthält, die mit der EMRK nicht vereinbar sind: So können in das Abgeordnetenhaus und das dreigliedrige Staatspräsidium nur Staatsbürger gewählt werden, die einer der drei staatsbildenden Volksgruppen (Bosnier, Kroaten, Serben) angehören; eine Regelung, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR [GK] 22.12.2009, 27996/06, Sejdić und Finci) gegen das Diskriminierungsverbot der EMRK verstößt. In welcher Form dieses Urteil umgesetzt wird, ist bis heute offen. Von österreichischer Seite wurde auf die Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Neuorganisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit verwiesen.

Im Fokus des zweiten Fachgesprächs im VfGH stand das Spannungsfeld von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Speziell wurde auf die Rolle der nationalen Verfassungsgerichte eingegangen. Zum Thema referierten der bosnische VfG-Vizepräsident Mirsad Ćeman und Verfassungsrichterin Valerija Galić sowie von österreichischer Seite VfGH-Vizepräsident Christoph Grabenwarter. Der VfGH-Vizepräsident betonte dabei, es sei „charakteristisch für die europäische Verfassungsentwicklung der letzten 25 Jahre, dass Verfassungsgerichte nicht isoliert im Rahmen ihrer Verfassung tätig sind, sondern in Kooperation mit anderen Verfassungsgerichten und mit den Europäischen Gerichtshöfen agieren“. Dies gelte auch und gerade für den Bereich der Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. „Die Verfassungsgerichte stärken die Rechtsgemeinschaft und damit die Werteunion dadurch, dass sie über die Einhaltung der demokratischen und rechtsstaatlichen Garantien in der Durchführung des Unionsrechts durch die Organe der Mitgliedstaaten wachen. Dazu gehört die verfassungsgesetzlich gebotene Beteiligung der Parlamente ebenso wie die Sicherung der Zuständigkeit und Unabhängigkeit von Gerichten“, so Grabenwarter. 

Die Fachgespräche schlossen mit einem Gedankenaustausch über die Voraussetzungen und Möglichkeiten elektronischer Stimmabgabe bei demokratischen Wahlen. Die Vertreter beider Gerichte verwiesen auf die Gefahren und verfassungsrechtlichen Schranken dieser Form der Distanzwahl.


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