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VfGH: Medien dürfen nicht prinzipiell von Datenschutzbestimmungen ausgenommen sein

09.01.2023

Gesetzgeber hat bis Mitte 2024 für differenzierte Regelung Zeit

Es ist verfassungswidrig, Datenverarbeitungen durch Medienunternehmen, die zu journalistischen Zwecken erfolgen, gänzlich von den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes auszunehmen. Dieser undifferenzierte Ausschluss („Medienprivileg“) verstößt, wie der VfGH festgestellt hat, gegen das Grundrecht auf Datenschutz.

Auslöser für die Entscheidung war, unter anderen, die Beschwerde eines Mannes an die Datenschutzbehörde, dessen Visitenkarte ungeschwärzt in einem Beitrag und in Bildaufnahmen über eine Hausdurchsuchung auf der Homepage eines Medienunternehmens zu sehen gewesen war. Die Datenschutzbehörde wies die Beschwerden gegen die Veröffentlichung personenbezogener Daten durch Medienunternehmen „wegen Unzuständigkeit“ zurück. Gegen die Zurückweisung beschwerte sich der Mann beim Bundesverwaltungsgericht, das daraufhin beim VfGH beantragte, das Medienprivileg als verfassungswidrig aufzuheben.

§ 9 Abs. 1 des Datenschutzgesetzes (DSG) sieht vor, dass das DSG sowie näher bezeichnete Teile der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) auf journalistische Datenverarbeitungen durch Medieninhaber, Herausgeber sowie Mitarbeiter eines Medienunternehmens oder Mediendienstes nicht anzuwenden sind.

Medien prinzipiell von der Anwendung des DSG auszuschließen widerspricht jedoch dem Grundrecht auf Datenschutz. Gesetzlich in den Datenschutz einzugreifen ist nämlich nur dann zulässig, wenn der Eingriff zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen notwendig ist. Der Gesetzgeber ist also auf Grund des Grundrechts auf Datenschutz stets gehalten, eine Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen am Schutz seiner personenbezogenen Daten und den gegenläufigen berechtigten Interessen eines anderen (z.B. eines Medienunternehmens) vorzusehen.

Medien nehmen in einer demokratischen Gesellschaft als „public watchdog“ eine zentrale Rolle im öffentlichen Interesse wahr. Die Meinungs- und Informationsfreiheit erfordert daher Ausnahmen vom Datenschutz, wenn die Datenschutzbestimmungen mit den Besonderheiten der Ausübung journalistischer Tätigkeit nicht vereinbar wären. Auch könnte der Gesetzgeber für Medien erhöhte Anforderungen an die interne Organisation, Dokumentation und technische Sicherung der verarbeiteten Daten vorsehen.

Das Grundrecht auf Datenschutz erlaubt es jedoch nicht, prinzipiell der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit für Tätigkeiten, die zu journalistischen Zwecken ausgeübt werden, den Vorrang vor dem Schutz personenbezogener Daten einzuräumen. Der Umstand, dass Datenschutzverletzungen durch journalistische Datenverarbeitungen mitunter nach medienrechtlichen oder zivilrechtlichen Bestimmungen vor den ordentlichen Gerichten bekämpft werden können, ändert nichts daran, dass es verfassungswidrig ist, journalistische Datenverarbeitungen von den speziellen datenschutzrechtlichen Garantien überhaupt freizustellen.

§ 9 Abs. 1 DSG ist daher verfassungswidrig. Die Aufhebung dieser Bestimmung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2024 in Kraft. Bis dahin hat der Gesetzgeber Zeit, eine entsprechend differenzierte Neuregelung zu treffen.

(G 287-288/2022) 

Eine Bestimmung der Strafprozessordnung in Bezug auf Untersuchungshaft ist verfassungswidrig

Eine Bestimmung der Strafprozessordnung verstößt, wie der VfGH entschieden hat, gegen das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG) und ist daher verfassungswidrig. Angefochten hatte diese Bestimmung ein Mann, der wegen des Verdachts terroristischer Verbrechen vor Gericht steht. 

Die Strafprozessordnung sieht vor, dass Untersuchungshaft – neben weiteren Voraussetzungen – nur verhängt werden darf, wenn bestimmte Haftgründe (Fluchtgefahr, Tatbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, Verdunkelungsgefahr) vorliegen. Geht es aber um ein Verbrechen, das mit mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird, ist zwingend die Untersuchungshaft zu verhängen, außer wenn alle Haftgründe (Fluchtgefahr, Tatbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, Verdunkelungsgefahr) ausgeschlossen werden können (§ 173 Abs. 6 StPO).

Nach dem PersFrSchG muss aber auch in Fällen schwerer Kriminalität in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob es einen Haftgrund gibt, der eine Untersuchungshaft rechtfertigt und sie notwendig macht. Diesem verfassungsrechtlichen Erfordernis trägt die angefochtene Bestimmung der StPO nicht angemessen Rechnung. Denn sie lässt Zweifel daran bestehen, ob diese Einzelfallprüfung jedenfalls zu erfolgen hat. 

§ 173 Abs. 6 StPO verstößt daher gegen das aus dem PersFrSchG folgende Gebot, die Voraussetzungen, unter denen Untersuchungshaft verhängt werden darf, gesetzlich entsprechend genau festzulegen. Die Aufhebung dieser Bestimmung tritt sofort in Kraft.

(G 53/2022) 

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