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VfGH prüft Wiener Mindestsicherung und Sozialhilfe-Grundsatzgesetz des Bundes

24.10.2022

Gesetzesprüfungsverfahren von Amts wegen – Aufhebung einer Bestimmung im Telekommunikationsgesetz

Einige weitere Entscheidungen aus den jüngsten Beratungen des VfGH wurden kürzlich den Verfahrensparteien zugestellt, sodass darüber nun Auskunft gegeben werden kann. 

Sozialhilfe: VfGH überprüft Höhe der Leistung in Wien und Sachleistungszwang bei Wohnbedarf im Bundesgesetz

Beim VfGH sind mehrere Beschwerden gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Wien anhängig, mit denen Leistungen nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz zuerkannt wurden. Die Beschwerdeführer machen geltend, dass das Verwaltungsgericht den Anspruch auf Mietbeihilfe bzw. auf Leistungen für Bedarfsgemeinschaften zu niedrig bemessen habe.

Anlässlich dieser Beschwerden sind im VfGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit von Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) und des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes des Bundes (SH-GG) entstanden. Der VfGH leitet daher von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren ein.

Die Höhe von Sozialhilfe-Leistungen bemisst sich nach dem Richtsatz für die Zuerkennung einer Ausgleichszulage zu einer Pensionsleistung nach dem ASVG. Mit dem SH-GG aus dem Jahr 2019 hat der Bund Höchstgrenzen für Sozialhilfeleistungen festgelegt. Die monatlichen Geldleistungen für Personen, die in einer Haushaltsgemeinschaft leben, dürfen maximal 70 % dieses Ausgleichszulagenrichtsatzes (netto, verringert um den Krankenversicherungsbeitrag) betragen. Das WMG sieht hingegen vor, dass der Höchstsatz 75 % des Ausgleichszulagenrichtsatzes beträgt. Dies scheint, so der VfGH, gegen das SH-GG zu verstoßen und damit verfassungswidrig zu sein.

Das SH-GG bestimmt auch, dass der Wohnbedarf (also der Aufwand für Miete und Betriebskosten) durch die allgemeinen Sozialhilfeleistungen abzudecken ist. Darüber hinaus kann ein höherer Wohnbedarf nur als Sachleistung (wie direkte Zahlungen des Sozialhilfeträgers an den Vermieter) gewährt werden (Wohnkostenpauschale).

Nach dem WMG hingegen haben hilfsbedürftige Personen Anspruch auf eine Mietbeihilfe, die als selbständige Geldleistung die allgemeinen Sozialhilfeleistungen erhöht. Der VfGH ist vorläufig der Ansicht, dass auch diese Regelung vom SH-GG, das für diese Fälle nur Sachleistungen vorsieht, nicht gedeckt ist.

Der VfGH erachtet es aber andererseits auch als bedenklich, dass die Länder für einen Mehrbedarf bei Wohnkosten nach dem SH-GG ausschließlich Sachleistungen vorsehen dürfen. Dieser Sachleistungszwang dürfte regelmäßig dazu führen, dass die gewährten Leistungen aufgespalten werden, sodass beispielsweise ein Teil des Mietzinses vom Sozialhilfebezieher und ein anderer Teil vom Sozialhilfeträger an den jeweiligen Vermieter zu überweisen ist. Diese Vorgangsweise dürfte zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führen, unwirtschaftlich und unzweckmäßig sein. Dieser Sachleistungszwang, der durch das Grundsatzgesetz den Ländern vorgegeben ist, dürfte sachlich nicht gerechtfertigt sein und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.

Das nun eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren soll klären, ob diese Bedenken zutreffen. Der VfGH holt dazu eine Stellungnahme der Wiener Landesregierung und – in Bezug auf das SH-GG – der Bundesregierung ein.

(E 3778/2021 u.a. Zlen.) 

Antennentragemasten auf Grundstücken der öffentlichen Hand: Regelung teilweise gleichheitswidrig

Seit 2021 können Mobilfunknetzbetreiber Grundstücke, die mittelbar oder unmittelbar im Eigentum einer Gebietskörperschaft (zB. von Gemeinden) stehen, in Anspruch nehmen, um Antennentragemasten zu errichten und betreiben. 

Dieses behördlich durchsetzbare Standortrecht kommt an sich durch Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und der Gebietskörperschaft zustande. Kann jedoch eine solche Vereinbarung nicht erzielt werden, entscheidet auf Antrag eines Beteiligten die Regulierungsbehörde; deren Entscheidung gilt dann als Vereinbarung. Nimmt ein Mobilfunkbetreiber das Standortrecht in Anspruch, hat er der betroffenen Gebietskörperschaft eine Abgeltung zu bezahlen.

Die Wiener Landesregierung hat den Antrag gestellt, diese Regelung (§ 59 Telekommunikationsgesetz 2021 – TKG) als verfassungswidrig aufzuheben; sie sieht darin einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Eigentum und gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Der VfGH führt in seiner Entscheidung aus, dass es im öffentlichen Interesse liegt, den Breitbandausbau zu fördern. Das Standortrecht stellt auch ein geeignetes Mittel dar, dieses Ziel zu verfolgen. Diese Regelung beschränkt das (Eigentums-)Recht der Gebietskörperschaften, über ihre Grundstücke zu verfügen, auch in verhältnismäßiger Weise: Das Standortrecht ist nur dann einzuräumen, wenn keine öffentlichen Rücksichten wie zB sozialer Wohnbau oder Energieerzeugung entgegenstehen und die widmungsgemäße Nutzung der Liegenschaft nicht oder nur unwesentlich dauernd eingeschränkt wird. Zudem ist für die Wertminderung eine Abgeltung zu bezahlen.

Es liegt, so der VfGH, auch im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des (Bundes‑)Gesetzgebers, mit diesem Standortrecht nur Gebietskörperschaften zu belasten, nicht aber auch private Liegenschaftseigentümer.

Eine weitergehende Beschränkung des Verfügungsrechts von Gebietskörperschaften über ihre Liegenschaften hat der VfGH hingegen als verfassungswidrig aufgehoben: Gebietskörperschaften können nämlich über ihre Grundstücke nur dann entgegen einem bestehenden Antennenstandort verfügen, wenn dafür eine „technische Notwendigkeit“ nachweisbar ist (§ 59 Abs. 2 TKG), zB um den Betrieb eigener Infrastrukturen wie Schienen oder Straßen sicherstellen zu können. Damit geht ein bestehendes Standortrecht im Konfliktfall zwingend anderen ebenfalls im öffentlichen Interesse liegenden Maßnahmen wie der Aufstockung von Gebäuden oder der Nutzung für Solarenergie vor. Für eine solche Beschränkung gibt es aber keine sachliche Rechtfertigung.

(G 141/2022)

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