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Sicherstellung von Handys in Strafverfahren ohne richterliche Bewilligung ist verfassungswidrig

19.12.2023

Verstoß gegen Datenschutz und Recht auf Privatleben – Gesetzesbestimmungen ab 1.1.2025 außer Kraft

Die Sicherstellung von Mobiltelefonen (mobilen Datenträgern) in Strafverfahren ohne eine vorhergehende richterliche Bewilligung ist verfassungswidrig, weil sie gegen das Datenschutzgesetz und das Recht auf Privatleben verstößt. Der VfGH hat mit dieser Entscheidung dem Antrag eines Kärntner Unternehmers stattgegeben, gegen den wegen des Verdachts der Untreue ermittelt wurde. Die entsprechenden Bestimmungen in der Strafprozessordnung sind ab 1. Jänner 2025 außer Kraft (§ 110 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 sowie § 111 Abs. 2 StPO). 

Grundrechtseingriffe müssen verhältnismäßig sein. Die Schwere des Eingriffs darf nicht größer sein als die Bedeutung des Ziels, das erreicht werden soll.  

Zwar ist es ein legitimes Ziel, Datenträger sicherzustellen und auszuwerten, um Straftaten zu verfolgen. Auch stellt die rasche Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien die Kriminalitätsbekämpfung vor besondere Herausforderungen, doch entsprechen die angefochtenen Bestimmungen der Strafprozessordnung nicht den Anforderungen von § 1 Datenschutzgesetz und Art. 8 EMRK.

Eingriff in Grundrechte ist unverhältnismäßig

Nach Auffassung des VfGH ist die Verhältnismäßigkeit aus folgenden Gründen nicht gewahrt:

  • Im Unterschied zu anderen Gegenständen ermöglicht der Zugriff auf einen Datenträger nicht nur ein punktuelles Bild über das Verhalten von Betroffenen, sondern einen umfassenden Einblick in wesentliche Teile des bisherigen und aktuellen Lebens. Es „können umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt werden, die detailreiche Rückschlüsse auf das Verhalten, die Persönlichkeit und die Gesinnung des Betroffenen zulassen“.
  • Ein Vergleich mit der Sicherstellung anderer Gegenstände ist verfehlt, weil die ermittelten Daten mit anderen Daten verknüpft und abgeglichen werden können; unter Umständen können auch gelöschte Daten wiederhergestellt werden.
  • Der Eingriff in den Datenschutz und das Privatleben ist besonders intensiv,
    – weil eine Sicherstellung bereits bei einem Anfangsverdacht auf eine leichte Straftat möglich ist,
    – weil eine Sicherstellung auch gegenüber einem nicht verdächtigten Dritten erfolgen kann (d.h. es kann etwa der Datenträger einer Person sichergestellt werden, allein weil sie einen Verdächtigen kennt, § 111 Abs. 2 StPO),
    – weil auch sämtliche Personen betroffen sind, deren Daten auf dem sichergestellten Datenträger gespeichert sind.
  • Für Betroffene ist nicht ersichtlich, wie und vor allem welche gespeicherten Daten (etwa auch extern auf einer Cloud) ausgewertet werden bzw. ob sie mit anderen Daten verknüpft werden.
  • Die derzeit geltenden Rechtsmittel reichen nicht aus, um den erforderlichen Rechtsschutz der Betroffenen gegen die Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsorgane zu garantieren. Die Betroffenen haben nämlich keine Kenntnis von der tatsächlichen Vorgangsweise der Sicherheitsbehörden (Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei) bei der Auswertung und vom Umfang der ausgewerteten Daten. 

Welche Gesichtspunkte sind bei einer neuen Regelung zu beachten? 

Eine so weitgehende Maßnahme wie eine Sicherstellung von Datenträgern erfordert, dass ein Richter sie genehmigt. Nur so kann überprüft werden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Sicherstellung und Auswertung vorliegen und ob die Sicherheitsbehörden ihre Befugnisse überschreiten. Das Gericht hat im Fall der Bewilligung der Sicherstellung auch festzulegen, welche Datenkategorien und Dateninhalte aus welchem Zeitraum zu welchen Ermittlungszwecken ausgewertet werden dürfen.

Der vom VfGH als erforderlich gesehene Richtervorbehalt bei der Bewilligung der Sicherstellung stellt noch keinen ausreichenden Rechtsschutz für Betroffene dar. Der Gesetzgeber muss bei der Neuregelung der Sicherstellung und Auswertung von Datenträgern das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung und die Grundrechte der Betroffenen gegeneinander abwägen und in Ausgleich bringen.

Welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen dieser Ausgleich genügen muss, hängt davon ab, wie intensiv der Grundrechtseingriff ist:

  • Es kann einen Unterschied machen, ob eine Sicherstellung von Datenträgern bei allen oder nur bei bestimmten Straftaten vorgesehen wird, z.B. nur bei schweren Straftaten oder etwa nur bei Cyberkriminalität.
  • Die Zulässigkeit einer Sicherstellung kann auch davon abhängen, ob der Gesetzgeber Vorkehrungen trifft, dass die Auswertung nachvollziehbar sowie überprüfbar ist und der Datenträger nur im erforderlichen Ausmaß ausgewertet wird.
  • Der Gesetzgeber hat zu gewährleisten, dass die von der Sicherstellung eines Datenträgers und der Auswertung der darauf (lokal oder extern) gespeicherten Daten Betroffenen in geeigneter Weise jene Informationen erhalten (können), die zur Wahrung ihrer Rechte im (Ermittlungs- und möglicherweise nachfolgenden Haupt-) Verfahren notwendig sind.  
  • Weiters ist zu berücksichtigen, ob der Gesetzgeber in Abwägung mit dem Interesse an der Strafverfolgung effektive Maßnahmen einer unabhängigen Aufsicht vorsieht, die überprüft, ob sich die Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei bei der Datenauswertung im Rahmen der gerichtlichen Bewilligung bewegt hat und ob die Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen in verhältnismäßiger Weise gewahrt worden sind.

(G 352/2021)

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