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Lettlands Präsident Levits: Die EU braucht eine gemeinsame Rechtsstaatlichkeit

30.09.2022

Verfassungstag am VfGH mit u.a. Bundespräsident Van der Bellen – Grabenwarter: Österreichs Höchstgerichte wirken vorbildhaft zusammen

Auch wenn die Verfassungen der Mitgliedsländer zwar ähnlich, aber nicht ident sind: Die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit müssen in der gesamten EU einheitlich sein. Dies betonte Lettlands Staatpräsident Egils Levits als Festredner heute am Verfassungsgerichtshof in Wien.

Der lettisches Staatspräsident Egils Levits bei seiner Rede am Verfassungstag 2022 (Foto: VfGH/Achim Bieniek) 

Mit einem Festakt zum Verfassungstag – dem morgigen 1. Oktober – erinnert der VfGH alljährlich an den Beschluss des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Konstituierenden Nationalversammlung am 1. Oktober 1920. VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter konnte Bundespräsident Van der Bellen, Bundeskanzler Nehammer, Nationalratspräsidentin Bures und zahlreiche weitere Ehrengäste begrüßen.

Der lettische Präsident betonte, dass es zwar Demokratie ohne Rechtsstaat geben könne. Die Tatsache aber, dass dann allein per Mehrheitsentscheid entschieden werde, führe dazu, dass andere fundamentale Werte der EU wie die Wahrung der Menschenrechte oder die Gleichheit vor dem Gesetz ausgehebelt werden könnten. „In einigen EU-Mitgliedsländern wird der Rechtsstaat zurückgedrängt“, stellte Levits fest. Aufgabe der nationalen Verfassungsgerichte sei es, die jeweilige Verfassung zu schützen. Aber „wenn ein nationales Verfassungsgericht das nicht tut, kommt der Europäische Gerichtshof ins Spiel.“

Angriff Russlands berührt das Selbstverständnis von Demokratien

Der Angriff Russlands auf die Ukraine, einen demokratischen Verfassungsstaat, betrifft, so Egils Levits, das Selbstverständnis von Demokratien: „Wie weit sind wir bereit, unser Modell zu behaupten? Wenn wir meinen, dass es das bessere ist, ist eine solidarische Haltung nur konsequent.“

VfGH-Präsident Grabenwarter am Verfassungstag 2022 (Foto: VfGH/Achim Bieniek) 

Auf das Thema Russland ging auch VfGH-Präsident Grabenwarter in seiner Begrüßung ein. Dessen Verfassungsgericht habe schon vor Jahren den Pfad europäischer Werte verlassen; das vor kurzem wirksam gewordene Ende der Mitgliedschaft Russlands in der Europäischen Menschenrechtskonvention sei aus juristischer Sicht ein weiterer Tiefpunkt der Entwicklungen der letzten Monate. Verfassungsgerichte sind, stellte Grabenwarter fest, unabhängige Institutionen und zur Wahrung von Demokratie und Rechtsstaat verpflichtet. Dort, wo sie diesen Anspruch nicht mehr erfüllen, würden die Defizite von anderen Verfassungsgerichten und den Europäischen Gerichtshöfen deutlich benannt. „Das gute Zusammenwirken der österreichischen Höchstgerichte im Dienste des Rechtsstaats kann durchaus als Vorbild dienen“.

Van der Bellen: „Der Rechtsstaat endet nicht dort, wo es unbequem wird“

Alexander Van der Bellen wies in seiner Rede darauf hin, dass „wir in herausfordernden und immer komplexer werdenden Zeiten“ leben. „Was wir lange als feststehend begriffen haben, unterliegt nun einem Wandel“, so der Bundespräsident. Umso wichtiger sei es, den Rechtsstaat zu bewahren, durch eine tadellose Gesetzgebung und durch eine sorgfältige Rechtsanwendung mit Leben zu erfüllen: „Und gegebenenfalls auch zu verteidigen.“ Es gelte, den Respekt für die Institutionen unseres Rechtsstaats weiter zu stärken, so Van der Bellen.

Bundespräsident Van der Bellen bei seinen Grußworten am Verfassungstag 2022 (Foto: VfGH/Achim Bieniek) 

Den unüberhörbaren Rufen nach weniger Staat und mehr Freiheit des Einzelnen, stünden gleichzeitig Forderungen nach mehr staatlichen Eingriffen in zutiefst privatrechtliche Bereiche gegenüber. Die Maßnahmen zur Covid-Bekämpfung seien ein Beispiel dafür, dass es divergente Standpunkte gebe. „Es gilt, einander widersprechende Interessen gegeneinander abzuwägen und zu gewichten“, unterstrich Van der Bellen. Es seien nie „Spitzfindigkeiten“, wenn der VfGH in seiner wohl begründeten Rechtsprechung konsequent zwischen Umfang und Wortlaut einer Gesetzesbestimmung, rechtspolitischem Gestaltungsspielraum und den grundrechtlich gewährleisteten Interessenssphären Betroffener unterscheide. Erst das sichere „den Erhalt dieser grandiosen Kulturleistung, die unser Verfassungsrecht und der Grundrechtekatalog eben sind“.

In einem Rechtsstaat liegt es jedoch an jeder, an jedem von uns, die Grenzen unserer Freiheit anzuerkennen und die Auswirkungen unseres Handelns auf andere stets im Blick zu haben, so Van der Bellen. „Der Rechtsstaat endet nicht dort, wo es unbequem wird. Der Rechtsstaat endet dort, wo der verfassungsrechtliche Rahmen verlassen wird.“ 

Nehammer: „Die Verfassung ist relevant und aktuell, die Krisen haben das verdeutlicht“

Bundeskanzler Karl Nehammer am Verfassungstag 2022 (Foto: VfGH/Achim Bieniek) 

Vor genau 102 Jahren sei, so Bundeskanzler Karl Nehammer, ein Grundbestandteil unserer Demokratie gesetzt worden. Zeit ihres Bestehens, vor allem aber in den vergangenen Jahren, sei die Bundesverfassung die Basis staatlichen Handelns, Hüterin der Grundrechte, Rückgrat unserer Demokratie und gebe uns auch in politisch sensiblen Situationen stets eine Grundlage. „Unsere Verfassung ist weder abstrakt, noch veraltet, sondern relevant und aktuell, für alle Bürgerinnen und Bürger und Menschen die in Österreich leben. Das haben die Krisen der vergangenen Jahre mehr als verdeutlicht“, unterstrich der Bundeskanzler.

Dankesrede der VfGH-Vizepräsidentin Madner am Verfassungstag 2022 (Foto: VfGH/Achim Bieniek)  

Den Gerichten, allen voran dem Verfassungsgerichtshof, sei dabei stets eine tragende Rolle zugekommen. Nehammer dankte allen Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes, die mit ihrer Arbeit und ihrem Engagement wesentlich dazu beitrügen, dass „Österreich eine vorbildliche Demokratie und ein sehr gut funktionierender Rechtsstaat ist. Wir brauchen Sie alle, wir brauchen dieses Miteinander auf Grundlage einer starken Verfassung, damit wir als Staat und als Gemeinschaft gut zusammenleben können. Die Existenz und der Wert unserer Verfassung, die im Jahr 1920 beschlossen wurde, weil die politischen Kräfte den Willen zum Dialog und die Bereitschaft zum Kompromiss aufgebracht haben, helfen uns jeden Tag, unsere Aufgaben zu erfüllen! Dafür ein herzliches Dankeschön!“

Die Reden zum Verfassungstag können Sie auf der You Tube-Seite des VfGH ansehen.

Company of Music am Verfassungstag 2022 (Foto: VfGH/Achim Bieniek) 


BK Nehammer, VfGH-Präs. Grabenwarter, BKaD Bierlein, BPräs.aD Fischer, BPräs. Van der Bellen, Präs. Levits, BMin Edtstadler, 2. NRPräs. Bures, BMin Rauch (Foto: VfGH/Achim Bieniek) 


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